Wegweiser: Umgang mit Diskriminierung an der Universität Göttingen
Das Thema Diskriminierung ist mit vielen Fragen verbunden: Was ist Diskriminierung? Wie erkenne ich Diskriminierung? Was kann ich tun?
Im Folgenden finden Sie für den Umgang mit Diskriminierungsfällen einige Informationen.
Bei sämtlichen Fragen oder Anliegen können Sie der Antdiskriminierungsberatung gern eine E-Mail schreiben.
Was ist Diskriminierung?
Menschen können in allen Lebensbereichen Diskriminierungen erfahren, unabhängig davon, welche Position sie einnehmen, wo sie leben, studieren oder arbeiten. Wo fängt Diskriminierung an, wo hört sie auf?
Im Folgenden finden Sie Informationen über Definitionen, Formen sowie Beispiele von Diskriminierungen an Hochschulen.
Rechtliche Definition
Unter Diskriminierung werden nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Ausgrenzungen und sachlich nicht begründbare Benachteiligungen verstanden. Diese können Menschen aufgrund von Zuschreibungen oder (vermeintlichen) Zugehörigkeiten, z.B. bezüglich des Geschlechts, der ethnischen oder sozialen Herkunft, einer Behinderung oder chronischen Erkrankung, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung erfahren. Benachteiligungen können direkt oder indirekt durch Verfahren, Regelungen oder Kriterien geschehen.
Artikel 3 Grundgesetz
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
§ 2 Anwendungsbereich
(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:
1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2. die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3. den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4. die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5. den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6. die sozialen Vergünstigungen,
7. die Bildung,
8. den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.
§ 3 Begriffsbestimmungen
(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.
(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.
Gesellschaftliche Kontexte
Diskriminierungen entstehen immer vor dem Hintergrund gesellschaftlich gewachsener Strukturen sowie damit verbundenen Werten und Normen, die gemeinhin unhinterfragt als Normalität angesehen werden. Diskriminierungen sollten somit nicht verkürzt als das Verhalten Einzelner, verbunden mit Absicht oder Schuld, dargestellt werden, sondern sind in historisch gewachsene Verhältnisse eingebunden. Die sogen. „institutionelle Diskriminierung“ kann „(...) unabhängig von individuellen Vorurteilen oder negativen Absichten“ und auch durch das Handeln „wohlmeinender Akteure zustande kommen“ (Mechthild Gomolla, Handbuch Diskriminierung 2016, S.134).
Individuelle Erfahrungen
Für Betroffene sind Diskriminierungen individuelle Gewalterfahrungen, die ihre Würde verletzen und ihre gesellschaftliche Teilhabe einschränken. Betroffenen wird oftmals die Verantwortung für die Diskriminierung zugeschoben und wie werden selbst als „Problem“ empfunden. Diskriminierte Personen überlegen daher genau, ob und wem sie von der Diskriminierung erzählen.
Beleidigung, Beschimpfung, Bedrohung, Anfeindung, Verweigerung von Zugängen zu Angeboten oder Unterstützungsleistungen, Sexualisierte Belästigung, Mobbing, Ausgrenzung, körperliche Gewalt, Anweisung zur Diskriminierung (z. B. durch Vorgesetzte oder Kommiliton*innen), Stalking, Schlechterstellung bei der Benotung/Bewertung, Beschädigung von Eigentum, o.Ä.
- des Geschlechts,
- der ethnischen oder sozialen Herkunft,
- einer Behinderung,
- der Religion oder Weltanschauung,
- des Alters oder
- der sexuellen Orientierung
(in Anlehnung an das AGG § 1 - schützenswerte Merkmale).
Das Diskriminierungsverständnis der Universität ist um weitere schützenswerte Zuschreibungen erweitert, z.B. um Staatsangehörigkeit, Sprache, sozio-ökonomischen Status, Familienstand, Sorge-/Pflegeaufgaben und äußere Erscheinung (z.B. Aussehen, Gewicht).
Diskriminierung kann direkt, z.B. im Umgang miteinander, oder indirekt, z.B. durch Verfahren, Regelungen oder (Auswahl-)Kriterien, geschehen.
Hinweis: Die folgenden Beispiele sollen einen Eindruck von häufig vorkommenden Diskriminierungserfahrungen vermitteln, die Studierende an unterschiedlichen Hochschulen in Deutschland erfahren oder beobachtet haben. Sie beruhen auf Veröffentlichungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie dem Austausch mit Antidiskriminierungsberatungsstellen bundesweit.
Unmittelbare (direkte) Diskriminierung
- Eine Studentin erhält keine Förderung für ein Auslandssemester, weil sie chronisch krank ist.
- Ein Studienbewerber erhält keinen Studienplatz für die Kunsthochschule; Die Altersgrenze liegt bei 30 Jahren.
- Einer muslimischen Studentin wird an einer Hochschule das Tragen ihres Kopftuches verboten.
- Eine trans* Person wird von einer Lehrperson nicht mit dem gewählten Vornamen angesprochen.
- Eine dozierende Person macht sich im Seminar fortwährend über gesellschaftlich marginalisierte Gruppen lustig.
Mittelbare (indirekte) Diskriminierung
- Studierende mit Kindern haben an einem Universitätsklinikum Schwierigkeiten, aufgrund der Krankheit des Kindes entschuldigt zu fehlen.
- Ein jüdischer Student kann wegen seiner aktiven Religionsausübung eine Klausur am Samstag nicht mitschreiben. Ausweichtermine werden ihm nicht angeboten.
- Ein internationaler Student wird aus Gruppenarbeiten ausgeschlossen, weil er aufgrund seiner Sprachkenntnisse mehr Zeit benötigt, um die Aufgaben zu verstehen und zu bearbeiten.
- Eine Studentin bittet um einen späteren Prüfungstermin, da sie derzeit stillt. Dies wird ihr verweigert.
- Einer studierenden Person im Rollstuhl ist in den Abendstunden und am Wochenende der Zugang zu den Räumlichkeiten der Hochschule versperrt, da aus Kostengründen die Fahrstühle zu diesen Zeiten abgestellt sind.
Wie erkenne ich Diskriminierung?
Eine Frage, die sich sowohl Betroffene, als auch beteiligte und unbeteiligte Dritte häufig stellen, die nicht leicht zu beantworten ist.
Um Diskriminierung zu erkennen und zu benennen, ist es wichtig, die Perspektive Betroffener ins Zentrum zu stellen. Die Methode des „Dreischritts“ kann hilfreich sein, um diskriminierende Situationen einzuschätzen und zu bearbeiten.
Diskriminierung erkennen als „Dreischritt"
So heißt es im Leitfaden „Diskriminierungsschutz an Hochschulen“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: „Diskriminierung ist die Benachteiligung von Menschen (1) aufgrund eines schützenswerten Merkmals (2) ohne sachliche Rechtfertigung (3)“ (S. 9). Daraus ergeben sich die folgenden Fragen, um eine Diskriminierung zu erkennen:
1. Liegt eine Benachteiligung vor?
2. Ist diese Benachteiligung aufgrund eines schützenswerten Merkmals entstanden?
Dies folgt der Logik, dass jede Diskriminierung eine Benachteiligung, aber nicht jede Benachteiligung eine Diskriminierung ist.
An einem Beispiel skizziert: Ein Hundebesitzer darf seinen Hund nicht mit in ein Café nehmen. Das mag als benachteiligend empfunden werden, jedoch ist hier kein geschütztes Merkmal betroffen und somit handelt es sich nicht um eine Diskriminierung.
3. Gibt es eine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung?
Unter die sogenannten sachlichen Rechtfertigungen, die eine Ungleichbehandlung zulassen, fallen z.B. Nachteilsausgleiche, Frauenförderprogramme oder Altersbeschränkungen zum Jugendschutz.
Dieser Dreischritt kann sowohl betroffenen Personen als auch z.B. Beratenden helfen, eine erste Einschätzung über eine Situation zu gewinnen und zu entscheiden, ob es sich um eine Diskriminierung handelt. In der Realität sind die Situationen in der Regel wesentlich komplexer, da Diskriminierungen oftmals nicht direkt als solche erkennbar und deshalb schwer fassbar oder gar nachweisbar sind.
Was kann ich tun?
Sowohl Betroffene als auch Beobachtende, Beratende oder Interessierte stellen sich immer wieder die Frage: Was kann ich bei Diskriminierung konkret tun?
Tipps für Betroffene: Was tun nach einer Diskriminierungserfahrung?
- Sprechen Sie mit Freund*innen oder, wenn möglich, der eigenen Familie über Ihre Erfahrung.
- Versuchen Sie, Beweise für die Diskriminierung zu sammeln oder die Situation, die Sie erlebt haben, zu dokumentieren. Nutzen Sie die Muster-Vorlage für ein Gedächtnisprotokoll oder führen Sie eine Art „Tagebuch", um langandauernde Diskriminierungen zu dokumentieren.
- Bei Diskriminierung in oder über elektronische Medien: Speichern Sie E-Mails oder machen Sie Screenshots von diskriminierenden Texten, Postings, etc..
- Sprechen Sie Personen an, die den Vorfall beobachtet haben und bitten Sie diese um Unterstützung (direkt in der Situation oder auch später.) Dies ist wichtig, falls Zeugenaussagen benötigt werden.
- Wenden Sie sich an vorgesetzte Personen oder, falls eine Diskriminierung im Lehrkontext passiert ist, an Lehrende.
- Wenden Sie sich ggf. an die Polizei.
- Nehmen Sie Kontakt zu einer Beratungsstelle auf - eine Liste mit Anlaufstellen finden Sie in der rechten Spalte.
- Wenn Sie unmittelbare Diskriminierung beobachten, sprechen Sie die davon betroffene Person an, ob sie Unterstützung oder Hilfe braucht.
- Hören Sie zuerst zu und bewerten Sie die berichtete Erfahrung nicht.
- Nehmen Sie ernst, was Ihnen berichtet wird.
- Ermöglichen Sie es Betroffenen, über Diskriminierung zu sprechen.
- Stellen Sie die Erfahrung nicht in Frage, sondern erkennen Sie diese als solche an.
- Signalisieren Sie, dass für Sie im Fokus steht, wie die betroffene Person selbst die Situation einschätzt
- Benennen Sie Diskriminierung als solche, wenn sie Ihnen bekannt wird.
- Bieten Sie Informationsmaterialien an.
- Geben Sie Betroffenen Orientierung im Beratungsnetz der Universität oder der Stadt Göttingen (Liste in der rechten Spalte).
- Können sie Betroffene nicht selbst unterstützen, recherchieren Sie Möglichkeiten der Unterstützung oder verweisen Sie an spezialisierte Ansprechpartner*innen.
- Klären Sie mit Betroffenen offene Fragen und mögliche Hürden, wenn Sie an andere Beratungsstellen verweisen.
- Informieren Sie die ratsuchende Person transparent über mögliche nächste Schritte und ggf. damit einhergehende Konsequenzen.
- Wenn Sie selbst tätig werden wollen oder gesetzlich dazu verpflichtet sind, holen Sie, sofern Sie nicht gesetzlich zu unmittelbarem Handeln verpflichtet sind, das Einverständnis der ratsuchenden Person immer ein, bevor Sie tätig werden.