Friedenswissenschaftliche Perspektive auf humanitäre Kriege
Prof. Dr. Lothar Brock, Goethe Universität Frankfurt/Main
Dr. Brock ist Seniorprofessor für Politikwissenschaften, Gastforscher der „Hessischen Stiftung für Frieden, Humanitäre Intervention“, und Mitglied der Vereinigung deutscher Wissenschaftler. In seinem Vortrag über humanitäre Kriege setzte er sich mit den unterschiedlichen Motivationen für humanitäre Hilfe, resultierenden Interventionskriegen, und die davon abgeleiteten Auswirkungen auseinander.Als Einführung in das Thema diente der Terroranschlag in Paris und die Reaktion der Medien auf einen sogenannten „Kriegszustand“ Frankreichs und mögliche Reaktionen Europas. So erklärte sich der deutsche Aussenminister solidarisch mit der Erklärung des französischen Präsidenten, warnte jedoch vor einer „Wiederholung alter Fehler“- eine Anlehnung an den Amerikanischen „War on Terror“ in Afghanistan und Irak nach dem 11. September 2001.
Weiter zurück lag der Paradigmenwechsel der 1990er von nationaler Sicherheit hin zu menschlicher Sicherheit. Hier standen die drei Freiheiten im Vordergrund: Freiheit von Not, von Furcht, und die Freiheit für eigene Belange einzutreten. Während dieser Zeit entwickelte sich die Friedenspolitik, um die Sicherheit der Menschenrechte durch multilaterale UN-Truppen sicherzustellen. Hier stellte sich die Frage ob ein Zusammenhang zwischen Sicherung der Menschenrechte im Globalen Süden und Norden besteht oder ob hier ein Paradox herrscht, welches uns im Globalen Norden Verwundbar macht sobald wir intervenieren. Bedeutet mehr Sicherheit hier eine unsichere Welt?
Prof. Dr. Brock veranschaulichte uns, wie traumatisierend der Bürgerkrieg für die Syrer ist. Zwar nimmt die weltweite Gewalt als soziales Regulativ nicht zu und bleibt relativ konstant, rezente Konfliktsituationen spitzten sich schneller zu und die friedenstiftende Kraft der Moderne wurde überschätzt (Bsp. Völkerbund und United Nations) und konnten Weltkriege und ethnische Säuberungen nicht verhindern. Während Geopolitiker ein Zerfallsszenario der EU durch die Flüchtlingskrise befürchten, muss Gerechtigkeit an Stelle von reiner Sicherheit geschaffen werden. Hierfür müssen soziale sowie ökonomische Ungleichheit bekämpft werden, und der verwobene Einfluss von Migranten auf Europa berücksichtigt werden: Diese sind nicht als abgegrenzte Erscheinung zu sehen, demographische und ökonomische Veränderungen wie z.B. eine Verjüngung der Bevölkerung oder Devisentransfer ins Heimatland verändern wie wir Migration sehen müssen.
Die „Weapons of Massdestruction“ erläuterte Brock indem Länder Migranten als politisches Druckmittel benutzen. Hier muss klar sein, dass Migration keinen Terrorismus schafft, jedoch kann diese dazu ausgenutzt werden. Brock erwähnte hier auch, dass Terror auch ohne Migration entstehen kann, allerdings seien ökonomisch und sozial ausgeschlossene Migranten empfänglicher für Extremismus.
Navid Kermani, der Empfänger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, setzte sich mit dem Dilemma der Intervention auseinander. Nachdem Christen und Muslime friedlich koexistiert hatten, zerschlugen das Assad-Regime und ISIS diese Gemeinschaft. Prof. Dr. Brock argumentierte, dass das Eingreifen nicht nur notwendig war, sondern auch zu spät kommt. Die Frage ergibt sich, ob ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen darf - Kermani ist sich dessen sicher, da es der größte Fehler sei nur sich selbst zu schützen während andere leiden. Brock argumentierte hier dass selbst die größten Konflikte wie der Kalte Krieg friedlich gelöst werden konnten, während kleine Konflikte zu großer Gewalt eskalierten (Kosovo).
Human Security, wie es von der UN konzipiert wurde, sollte alle Menschen vor Menschenrechtsverletzungen beschützen, multilateral intervenieren solange die Zustimmung des betroffenen Staats vorlag und die Menschenrechte eingehalten wurden.
Einen Präzendenzfall für Interventionskriege schuf die UN, welche nicht in die ethnischen Säuberungen des Kosovo Krieges eingreifen konnte. Daraufhin griff die NATO unter Leitung der USA erfolgreich ein ? jedoch schuf die Einschränkung des Gewaltverbotes den Präzedenzfall für unilaterale Intervention. Die USA führte jetzt „gerechte Kriege“ als Reaktion zu 9/11.
Daraufhin etablierte die UN hierfür die 3 Säulen der Schutzverantwortung:
1. Jede Regierung trägt Verantwortung für die Sicherheit und Menschenrechte ihrer eigenen Bevölkerung.
2. Die internationale Gemeinschaft muss Staaten bei der Sicherstellung dieser Menschenrechte unterstützen.
3. Staaten, die dieser Verantwortung nicht nachkommen müssen multilateral der Menschenrechte halber dazu gezwungen werden.
Hierbei sorgt die Verankerung zweier konkurrierender Schutzprinzipien in der UN Charter für Spannung: Schutz der Sicherheit und Schutz des Friedens. Als Beispiel deutete Brock die Interventionen in Afghanistan und dem Irak an, bei denen ein Regierungssturz nur temporäre Sicherheit, jedoch keinen anhaltenden Frieden schufen. Ein weiterer kontroverser Gesprächspunkt war auch die Alternative zu gewaltsamer Intervention ? ohne die Taten der ISIS zu sanktionieren könnte man Verhandlungen führen wie man es schon früher mit Organisationen wie PLO, IRA oder den Taliban tat. Wenigstens könne man laut Brock die Gewalt minimieren, während man dem IS den Geldhahn vom Öl und Drogenschmuggel zudreht. Ein „Nah-Ost Marshall Plan“ ist eine weitere Strategie, da man sich fragen muss was man dem IS zurzeit entgegensetzen kann - nämlich nichts. Die Fruchtbarkeit von Radikalisierung hängt anscheinend davon ab, in welcher Manier wir unsere flüchtenden Nachbarn empfangen.
(Text: Ryan Castillo, Somayeh Mirsalehie, Andrea Müller, Aida , Katharina)